Achtsam leben
Dagmar Butowski ist zertifizierte Achtsamkeitstrainerin und zeigt, wie man (frau) mit mehr Ruhe und Zufriedenheit innerlich wachsen kann und sich befreiter und glücklicher fühlt.
Ein sehr interessanter Talk über Aufmerksamkeit und Belohnungssysteme, über ICH-Facetten und das JA zu sich selbst. Was klare Entscheidungen und Achtsamkeit in den Wechseljahren bringen.
Der Experten-Talk über das Hier und Jetzt sowie den lauten stillen Strom der Gedanken.
Dagmar, Du bist Trainerin für Achtsamkeit und Stressmanagement. Wie kamst Du auf diese Idee? Können wir Erwachsene Achtsamkeit wirklich lernen?
Es war eher eine logische Entwicklung als eine Idee, würde ich im Nachhinein sagen.
Erste, aber sehr überzeugende Erfahrungen mit kleinen Achtsamkeitsübungen hatte ich während eines Reha-Aufenthaltes nach meinem Burn-out vor fünf Jahren.
Durch die umgangssprachliche Nähe von Achtsamkeit und Aufmerksamkeit wird dies von vielen Menschen miteinander in Verbindung gebracht. Ich würde es so formulieren: Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit sich selbst, seinen Gedanken und Impulsen und auch seiner Umgebung gegenüber.
Und ja, das können wir lernen.
Ist Achtsamkeit ein Entspannungstraining?
Es ist kein auf Entspannung ausgerichtetes Training, aber während eines wirklich guten und fundierten Achtsamkeitstrainings lernen Teilnehmer all ihre Ich-Facetten, ihren permanenten Gedankenstrom und die daraus resultierenden Impulse zu Handlungen immer besser wahrzunehmen.
Wenn Teilnehmer lernen, dies nach und nach immer bewusster wahrzunehmen, können sie sich ihre Ressourcen schließlich auch bewusster einteilen. Wir beginnen, bewusst zu entscheiden und zu handeln. Gerade in Situationen, die mir unangenehme Gefühle verursachen, kann ich mich sehr bewusst dafür entscheiden, meinem Kopf nicht alles zu glauben, was er denkt.
Grundsätzlich hat Achtsamkeit aber eher mit einer langfristigen, ehrlichen Haltung zu mir selbst, zu meinem Leben zu tun, als eine kurzfristige Entspannung zu bewirken.
Wie kann mich Achtsamkeitstraining gerade in den Wechseljahren unterstützen? Siehst Du als Expertin, die selbst gerade in den Wechseljahren steckt, einen besonderen Bedarf für Frauen in dieser Phase?
Definitiv, denn hat es mir sehr geholfen, all die Wechseljahres-Erscheinungen überhaupt wahrzunehmen, sie anzunehmen und nun damit viel besser klarzukommen. Und diese wichtige Phase wirklich zu erleben, in dem ich mich frage: Was macht das gerade mit mir?
Wenn mir die Haare an der nassen Stirn klebten, war das früher ein Grund, mich am liebsten unsichtbar zu machen, gar nicht da sein zu wollen. Weil ich lediglich auf meine Wirkung nach Außen festgelegt war. Mitgefühl mit meinem schwitzenden Körper zu haben, kam mir nicht in den Sinn, ich habe solche Körperreaktionen eher als einen „Maschinen-Schaden“ gesehen.
Sicher habe ich mal den einen oder anderen Artikel über Wechseljahre gelesen, aber ich war bis Ende Vierzig sehr abgespalten von meinem Körper, weil ich immer etwas an seiner Form auszusetzen hatte, egal ob ich schlank oder dick war. Er war in meinen Augen ein unzulängliches Beiwerk, zum Glück verhielt er sich bis auf einige Allergien relativ unauffällig.
Dennoch haben auch diese Allergien eine starke Aussagekraft, zum Beispiel habe ich kurz vor dem Burn-Out eine sehr schlimme allergische Reaktion im ganzen Gesicht gehabt, über viele Monate. Die ich natürlich immer dicker überschminkt habe, was sich letztlich als fatal herausgestellt hat. Ich wollte die perfekte Oberfläche, und alles IN MIR wollte endlich diese Maske ablegen.
Wie stark hat Achtsamkeit Dein Leben verändert?
Ich kann mich selber besser annehmen. Zu sich selbst zu stehen, auch zu den als „negativ“ empfundenen Anteilen, ist so ein wichtiges, gutes Gefühl, was mich sicher auch gut durch die zweite Hälfte des Lebens trägt. Ganz im Gegensatz zum völlig auf die Zukunft ausgerichteten Denken und Leben meiner ersten Lebenshälfte, was ich aber auch so annehmen kann, wie es war.
Heute schaue ich mehr darauf, was ich mir zumute. Ich verabrede mich seltener, weil ich es einfach als großen Luxus empfinde, in meiner Freizeit auch frei über meine Zeit bestimmen zu können. Das hat oft mehr Wert für mich als gemeinsame Unternehmungen. Wunderbar ist es, dass diese Erkenntnis inzwischen auch bei Freunden angekommen ist, was eine große Akzeptanz der Grenzen des Anderen nach sich zieht. Fantastisch!
Dennoch brauchte ich viel Mut, mich dazu zu bekennen, eine „Eigenbrötlerin“ zu sein. Sexy ist ja irgendwie anders, oder? Aber ich benötige Ruhe und den Fokus auf mich. Und nun traue ich mich tatsächlich, nein zu sagen, und zu meinen Bedürfnissen zu stehen. Auch wenn sich immer noch die Angst zeigt, nach einer Absage nicht mehr liebenswert zu sein oder zu vereinsamen. Aber es ist eben „nur“ eine Angst, nicht die Realität.
Warum gehört Meditation zum Achtsamkeitstraining?
Es gibt viele unterschiedliche Formen der Meditation. An der Achtsamkeitsmeditation liebe ich, dass sie ohne Hintergrund auskommt, ohne Musik oder andere „Zutaten“, die die Stimmung von außen beeinflusst.
Unser Belohnungssystem ist ständig auf der Suche nach Dingen und Gefühlen, die so schön sind, dass wir sie einfach permanent in unserem Leben haben wollen.
Im Gegensatz zu unseren Ängsten, die wir unterdrücken und nicht wahrhaben möchten und die doch immer wieder auftreten.
Nur sitzen und in sich hineinfühlen, den lauten wilden Strom der Gedanken beobachten, der immer ruhiger wird, das hat für mich dieselbe Qualität wie am Strand sitzen und auf das Meer schauen. Unendliche Bewegung in allen Facetten. Und immer wieder zu meinem Atem zurückkehren, wenn ich doch einem Gedanken folgen möchte.
Die Übung der Meditation stärkt mich darin, auch im Alltag nicht an Situationen oder Gefühlen anzuhaften, sondern sie einfach gehen lassen zu können, also echte Ge-lassen-heit zu leben.
Und das „stille Sitzen“ bringt mit der Zeit so wertvolle Erkenntnisse wie: Warum habe ich zu der Sache dieses Gefühl? Ah okay, ich bin neidisch. Warum bin ich neidisch? Ah okay, der Minderwert winkt um die Ecke.
Aber warum fühle ich mich überhaupt minderwertig? Und nein, es ist nicht verachtenswert, neidisch zu sein, der Neid und der Minderwert gehören zu mir, so wie sie in jedem Menschen angelegt sind. Mal stärker und mal schwächer, immer abhängig davon, was sonst so passiert in meinem Leben. Und ein gutes Signal, dass ich eventuell wieder auf den Mangel fokussiere, darüber nachdenke, was ich alles nicht habe, statt zufrieden zu sein, was ich alles in meinem Leben habe.
Was ist der Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl? Und was bedeutet Selbstliebe genau?
Ich würde den Unterschied so beschreiben: Echtes Mitleid bedeutet, dass ich selbst eine Leiderfahrung mache, ohne direkt betroffen zu sein. Ich verliere den Abstand zum Geschehen und werde darin verstrickt, was mich schlimmstenfalls schmerzt und hilflos macht. Ich fühle mich schlecht, auch wenn mir nichts passiert ist.
Mitgefühl drückt sich durch einen gesunden Abstand zu Betroffenen und zum Geschehen aus. Ich fühle mit den Betroffenen, jedoch ist mir stets bewusst, dass ich nicht selbst betroffen bin. Dass ich in der Position bin, Trost zu spenden, aktiv die Situation zu lenken und unterstützen zu können. Ich kann mir eine Antwort auf die Frage geben: Was wäre mein Bedürfnis in dieser Situation?
Und jetzt ist der Übergang zum Selbstmitgefühl schon fließend. Denn genauso verhält es sich mit Selbstmitgefühl. Ich habe durch mein Achtsamkeitstraining gelernt, kurz innezuhalten und mir eine Antwort auf die Frage geben: Was ist mein ganz ehrliches Bedürfnis in dieser Situation? Und dann habe ich es in der Hand, die Entscheidung AKTIV zu treffen, statt das Gefühl zu bekommen, sie wird getroffen.
Ein Nein zu Anderen ist ein Ja zu sich selbst. Mal ganz ehrlich: So oft ich diesen Satz schon gehört oder gelesen habe, so oft muss ich doch wieder mit mir ringen, nein zu sagen. Ich bin zwar mit vielen Freiheiten aufgewachsen, aber Nein-sagen habe ich nicht gelernt, und ich denke, so geht es vielen Frauen aus unserer Generation.
Doch wir können nur mitfühlen, helfen, unterstützen und somit unsere Selbstwirksamkeit wahrnehmen, wenn wir Kraft haben und nicht vor lauter Fremdbestimmtheit ausgelaugt sind. Das führt unweigerlich zum Kollaps.
Bezeichnenderweise wird im Flugzeug immer darauf hingewiesen, erst sich selbst die Sauerstoffmaske aufzusetzen, damit man sich im Anschluss um Kinder und andere nicht handlungsfähige Personen kümmern kann. Das hat nichts mit Egoismus zu tun, denn der Egoist würde sich eben im Anschluss nicht um Andere kümmern, sondern sehen, wie er am schnellsten und besten aus der Situation herauskommt, egal was mit anderen Menschen passiert. Die sind ihm egal, da er nur auf seinen Vorteil aus ist.
Achtsamkeit ist verbindend, weil wir plötzlich merken, dass wir Menschen unter Menschen oder generell Lebewesen mit all denselben Bedürfnissen sind. Dies stärkt ein Mitgefühl jedem Lebewesen gegenüber.
Alle sprechen immerzu vom HIER und JETZT... was ist damit eigentlich gemeint?
Der Kölner sagt es: et kütt wie et kütt…
Wir haben nur diesen Moment, in dem wir wirklich lebendig sind. Das klingt erstmal sehr groß und ich fand es am Anfang auch echt übertrieben, dieses ständige Hier und Jetzt.
Die meisten Menschen sind in diesem Moment mit den Gedanken an ganz anderen Plätzen mit ganz anderen Menschen, an ihren Smartphones oder lenken sich mit Musik ab. Die Gegenwart ertragen können, sich Selbst mit all seinen Ecken und Kanten, die Langeweile, die Stille und den Krach zu ertragen, das ist gewiss nicht einfach.
Aber wenn ich mir sage, ich lebe bewusst im Moment, ich kann ihn ertragen, so unperfekt wie er ist, dann fühle ich mich unglaublich lebendig, reich und beschenkt.
Die meisten Menschen hängen in diesem Moment mit den Gedanken an ganz anderen Plätzen mit ganz anderen Menschen, an ihren Smartphones oder lenken sich mit Musik ab. Die Gegenwart ertragen können, sich Selbst mit all seinen Ecken und Kanten, die Langeweile, die Stille zu ertragen, das ist gewiss nicht einfach.
Was lerne ich als Teilnehmerin in einem Achtsamkeitskurs und warum hast Du den Onlinekurs „Mit Achtsamkeit zu innerer Stärke“ für Lemondays entworfen?
Einen ersten Schritt in diese Richtung eines bewussteren Er-Lebens kannst Du mit dem Online-Kurs „Mit Achtsamkeit zu innerer Stärke“ tun. Der Kurs orientiert sich eng an den Inhalten des von Jon Kabat-Zinn entwickelten Mindful-Based-Stress-Reduction (MBSR)-Trainings.
In drei Modulen wirst Du behutsam an Achtsamkeit und auch an den Weg zu Dir selbst herangeführt. Zunächst lernst Du die Grundlagen der Achtsamkeit kennen, denn sie zu verinnerlichen, bedeutet, schon den Anfang des Weges gefunden zu haben.
In Teil 2 geht es um Dein Selbstmitgefühl: Wie kannst Du immer besser Ja zu Dir sagen? Es gibt wundervolle geführte Meditationen, mit denen Du mehr und mehr in das Thema eintauchen kannst.
Schließlich widmen wir uns Deiner Stresskompetenz. Auch in diesem Modul erhältst Du wichtige Einsichten über Dich und Deinen Autopiloten, der Dir im Leben vielleicht einiges abnimmt, aber Dich auch immer nur auf derselben Strecke fahren lässt. Dabei sind es oft die Umwege, die uns Lebendigkeit spüren lassen.
Mit unserem Abschied von dem Lebensabschnitt, der in vielerlei Hinsicht aus relativ festen Strukturen in Familie und Beruf und regelmäßigen Zyklen bestand, öffnet sich auch etwas Neues. Eine Chance, uns, unseren Alltag und all die Alltäglichkeiten fokussierter zu betrachten.
Womit sind wir zufrieden, was möchten wir vielleicht loslassen oder auch endlich mal annehmen, endlich Frieden damit schließen? Eine Art Inventur, mit immer wiederkehrender Selbstreflektion.
Denn das ist der Schlüssel: Wer sich selbst kennt, weiß, wer er ist.
Herzlichen Dank!
Herzlichen Dank für Deine Zeit und Dein Wissen, liebe Dagmar. Hier geht es in die LEMONDAYS Academy zu Dagmar´s Kurs „Mit Achtsamkeit zu innerer Stärke“.
Dagmar Butowski ist zertifizierte Trainerin für Achtsamkeit und Stressmanagement und orientiert sich in ihrer Arbeit eng an der von Jon Kabat-Zinn entwickelten MBSR-Methode (MBSR= Mindfulness-Based Stress Reduction).
Ihr großes Ziel ist es, Menschen mit ihrem Konzept eines zeitgemäßen, sachlichen Achtsamkeits- Trainings in ihrer Entwicklung und Annahme ihrer Selbst zu begleiten. Sie öffnet mit ihren Klienten deren Tür zu ihrem Selbst-Bewusstsein und zeigt ihnen ihren Weg zu mehr Ruhe und Zufriedenheit.
Dankeschön für diesen schönen Artikel! Achtsamkeit ist so ein wunderbares „Werkzeug“ und es ist deshalb so wertvoll, darüber „aufzuklären“.