Wie jeden Morgen schmunzelt sie vor sich hin, denn sie weiß ganz genau: Ihre Nachbarin Frau M. steht lauernd hinter ihren dichten Gardinen und beobachtet sie.
Übermütig klatscht Joya noch lauter in die Ecken ihrer Terrasse, vertieft sich in ihr Ritual und verbeugt sich im Osten (und genau gegenüber von Frau M.‘s Fenster) nach jedem dritten Schritt vor der Frühlingssonne.
„Gleich wird sie das Fenster öffnen und den Staubwedel ausschütteln!“ Joya lächelt in sich hinein und verbeugt sich noch tiefer. Sie kennt die Rituale ihrer Nachbarin.
„Das tut dem Rücken gut!“ ruft es just in diesem Moment über die Hecke. „Guten Morgen Frau M.!“ ruft Joya zurück und winkt strahlend ihrer Nachbarin zu.
Nach einer weiteren Verbeugung (vor der Sonne, nicht vor Frau M.) richtet sich Joya langsam auf und wippt auf den Zehenspitzen.
„Ich mache auch schon meinen Frühsport! Heute ist Frühjahrsputz angesagt!“ ruft Frau M. und schüttelt als Bestätigung ihren Putzlappen noch kräftiger.
„In der Sonne sehen Ihre Staubpartikel aus wie Feenstaub!“ ruft lachend Joya zurück.
Frau M. stoppt sofort erschrocken den Staubwedel und wie tausend zusammengesetzte kleine geheimnisvolle Buchstaben-Knäuel wehen jetzt die Gedanken von Frau M. zu Joya herüber.
Da Joya Gedankenlesen kann, hört sie genau, was Frau M. denkt: „Feenstaub! Die hat doch einen an der Klatsche!“ und antwortet nonverbal auf die „Klatsche“, indem sie wieder händeklatschend mit großen festen Schritten über ihre Terrasse marschiert.
Im Grunde mag Joya ihre neugierige Nachbarin und ist sich ziemlich sicher, dass Frau M. zu gerne wissen würde, warum sie klatschend über die Terrasse geht. Joya weiß aber auch, dass Frau M. sie das niemals fragen würde. So etwas tut Frau M. nicht. Leider.
Dann beginnt Joya damit, ihren Körper abzuklopfen. Zuerst klopft sie Schultern und die Arme, dann den Bauch und ihre Beine, nicht ohne Frau M. aus den Augen zu lassen. „Ich wecke meine Lebens-Geister!“ ruft sie Frau M. lachend zu.
Nach dem Feenstaub war das Wort Geister jetzt tatsächlich zu viel für Frau M. Sie schließt laut das Fenster und schaut noch einen Moment deutlich kopfschüttelnd zu Joya, bevor sie mit einem Ruck die Vorhänge schließt.
„Schade!“ denkt Joya. „Ich hätte Frau M. nur zu gerne von meinem inneren Frühjahrsputz erzählt.“
Vielleicht schüttelst du jetzt auch den Kopf?
Von wegen magischer Frühjahrsputz, Feenstaub, und klatschend aufgeweckte Lebensgeister?
Joya lässt sich in ihren geliebten Strandkorb fallen und genießt die Frühlingssonne. Forever young, I wanna be forever young… summt Joya vor sich hin…
Der Wind spielt verträumt in den Bäumen und liebevoll in Joya’s Haaren und streicht ihr zärtlich über die Stirn.
„Dieser Tag ist viel zu schade für einen plumpen Frühjahrsputz!“ ächzt Joya mit einem schrägen Blick auf ihre Fenster. „Und außerdem brauche ich ein anderes Wort für putzen!“ überlegt Joya. „Putzen klingt so hart!“ Es erinnert mich an liebloses kratzen, scheuern und schrubben. Kein Wunder habe ich darauf keine Lust!“
Joya betrachtet nachdenklich ihre kleinen Altersflecken auf ihren Händen. „Forever young!“ Da sind sie wieder die beiden Worte. Joya lauscht tief in sich hinein:
Singt ihr der Wind ein Liebeslied oder erzählt er von einer unerfüllbaren Sehnsucht?
Plötzlich springt sie auf! „Ja, jetzt weiß ich genau, was zu tun ist.“
Joya rennt ins Wohnzimmer und sucht nach einem kleinen grünen Buch, in das sie die Magie der Jahreszeiten und deren dazugehörigen Elemente aufgeschrieben hat, …
Während Joya sucht, schwelge ich in Erinnerungen.
Ich erinnere mich noch gut an Joya. Mit wachen Blicken nahm sie vor ein paar Jahren an meinem Elemente-Workshop teil. Eine durch und durch top-gestylte Frau um die 50, mit akkurater Frisur und exakt lackierten Fingernägeln. Ich war von Beginn an fasziniert von dieser wunderschönen Frau und fragte mich gleichzeitig, was sie wohl machen wird, wenn wir kurze Zeit später in der Erde graben und Ringelblumen-Salbe kochen.
Der Titel des Workshops lautete damals: Fengshui für Kopf und Bauch, in dem ich meinen Frauen in kreativen Ordnungs-Übungen zeigte, wie sie mit der Kraft der Elemente ihr mentales Gedanken-Sammelsurium entrümpeln und ihre emotionalen Altlasten reinigen und aussortieren können.
Ein paar Wochen nach dem Workshop schickte mir Joya damals ein Foto von sich, das nur so sprühte vor Lebens-Energie. Es zeigte eine strahlend jugendliche Frau in einer alten hochgekrempelten Latzhose, einem grünkarierten viel zu großen Hemd, die Haare wild zusammengesteckt und fröhlich tanzenden Sommersprossen auf der Nase.
Ein lautes Lachen holt mich aus meinen Erinnerungen. Das typisch gurgelnde, sprudelnde Lachen von Joya. Sie hat zwischenzeitlich ihr Buch gefunden und blättert nachdenklich über die Seiten.
Joya liest sich selbst laut vor: Im April und Mai ist das vorherrschende Element die Luft:
Es steht für:
- Atmen und Kommunikation,
- Leichtigkeit und Bewegung,
- Ungebundenheit und grenzenlose Weite.
Mit dem Luft-Element kannst du
- Innere und verhärtete Grenzen überwinden und luftig-leite Luftschlösser bauen.
- deine Neugier wieder entdecken und dich selbst ausprobieren
- übermütig sein und spielend leicht frische Gedanken anlegen
Das Luft-Element steht für die ersten 21 Lebensjahre und somit für den Lebens-Frühling, der – wie der sich alljährlich wiederholende Frühling nicht nur einmal im Leben stattfindet.
Joya liest weiter: Der Frühling wird der Himmelsrichtung Osten zugeordnet und somit dem Sonnen-Aufgang. Es ist die Zeit des Erwachens und des Aufbruchs. „Wenn das Frau M. wüsste!“ denkt Joya und hätte große Lust, ihrer Nachbarin ein bisschen Frühlings-Energie zu schenken.
Joya blättert weiter und findet ein kleines Geschenk-Papier-Tütchen mit einen kleinen Krümel Erde und einen Samen, den sie der Göttin Beltane in der bevorstehenden Walpurgis-Nacht vom 3o. April auf den 1. Mai schenken soll.
„Puh, wie gut, dass ich das heute gefunden habe!“ Joya atmet tief durch und erinnert sich: „Damals im Workshop haben wir auch ein riesiges Luftschloss gemalt, und eine meiner Wunschblumen war der Strandkorb, der jetzt auf meiner Terrasse steht.“ Dankbar erinnert sie sich, dass sie nur ein paar Wochen später einen lukrative Teilzeit-Job angeboten bekam. „Schon erstaunlich, wie viele Wunsch-Blumen sich verwirklicht haben!“
Schwungvoll klatscht wieder in die Hände. Es ist schon automatisiert in ihr verankert. So wie sie es damals im Kurs gelernt hatte. Weil das Klatschen nur böse Geister vertreibt, sondern auch die Lebens-Geister aufweckt.
Sofort macht sich Joya Notizen für ihren inneren Frühjahrs-Putz:
Step 1: meine verstaubten Gedanken ausmisten und durch Neue ersetzen.
Step 2: Ein paar Luftschlösser aufmalen und alle noch unerfüllten Wünsche in bunten Blumen darstellen und mit Mut und neuen Ideen düngen.
Step 3: Längst vergessene Träume vom Dachboden holen und auf Hochglanz wienern.
Step 4: Meine Altersflecken liebevoll mit Ringelblumen-Salbe versorgen.
Step 5: Meine Speckröllchen mit kraftvoller Sinnlichkeit füllen.
Step 6: Frischen Wind in meine Partnerschaft bringen.
Step 7: Neugierig über gewohnte Tellerränder blicken und mich ausprobieren.
Step 8: meinem Spieldrang mit allen Sinnen nachgeben und barfuß über Wiesen gehen.
Step 9: Frau M. übermütig zum Klatschen ähm Tratschen einladen.
Step 10: …
An dieser Stelle möchte ich Joya jetzt nicht länger beobachten. Sonst fühle ich mich am Ende noch wie Joya’s Nachbarin Frau M. ????
Ich möchte Dich heute, liebe Lemondays-Leserin einladen, nicht wie Frau M. „nur“ Beobachterin des Lebens zu sein.
Ich möchte dich einladen, Joya zu sein und die laue Frühlings-Luft unter deine Feen-Flügeln zu pusten um deinen 2., 3., 4., …, Frühling real zu erleben. Denn:
Forever young ist keine Frage des Alters, sondern ein magischer Ort in uns, den wir jeden Tag aufs Neue besuchen können.
Bis bald und herzliche Grüße
Silke