Die Leute haben richtig Angst vor Dir, hat mir mal ein Chef gesagt, als ich gerade 48 war. Dabei war ich damals erst am Anfang meiner Wechseljahre und noch gar nicht zur Höchstform aufgelaufen, wenn Du mich fragst. Aber beginnen wir am Anfang: Eigentlich war ich ein richtig, richtig schüchternes Kind.
Die blödeste Zeit meines Kindseins war, und das muss ich hier mal loswerden, die Zeit, in der ich nach Meinung meiner Mutter in den Kindergarten gehen sollte – weil es Deiner Schwester ja auch soooo gut da gefallen hat. Ich hingegen habe zwei Wochen lang heulend in einem hässlichen Indoor-Zelt gesessen und Holzpuzzle gelegt, während alle anderen Kinder schreiend und tobend in ihren 70er-Polyacryl-Klamotten im Garten rumgerannt sind. Meine einzig mutige Tat in meiner gesamten Kindergarten-Karriere war schließlich, dass ich ausgebrochen und allein nach Hause gegangen bin. Ich hatte es gründlich satt. Danach musste ich auch nicht mehr hin.
Als Konsequenz begann meine Grundschul-Karriere damit, dass ich in die erste Reihe gesetzt wurde, damit ich nicht wieder abhaue. Außerdem wurde die Lehrerin belehrt, dass sie bitte interessanten Unterricht für mich macht. Tatsache. Zusammenfassend bin ich also ein ehemaliger Angsthase, dem man erzählt hat, dass die ganze Show da vorne für Dich veranstaltet wird.
Ja, und so bin ich auch in die Wechseljahre gekommen, nur krasser
Heute habe ich Angst um meine Kinder (das einzig Schlimme am Kinderhaben!), Angst vor Höhen und Angst vor Haien, Angst im Auto ab 120 km/h, Angst vor Krankheiten, Kletterwänden und Kohlenhydraten, Angst fett zu werden oder den Faden zu verlieren und neuerdings auch echt viel Angst vor Krieg, Klimawandel und Corona. Ich kann mir in allen erdenklichen Formen und Farben ausmalen, was Furchtbares passieren könnte, sobald ich oder meine Liebsten hier mal kurz von der Couch aufstehen, und mit dem Alter ist dieser Hang zu Mega-Blockbuster-Angstfantasien eher stärker als besser geworden. Nur eine Angst habe ich mit den (Wechsel-)Jahren komplett verloren: die Angst vor anderen Menschen.
Ich sag mal so: Ein Hai ist seit Millionen der Boss in Sachen Badesee-Angst. Aber ein Chef, der nicht nur jünger ist als ich, sondern auch noch über deutlich weniger Haare und Kompetenzen verfügt, der jagt mir höchstens noch aufgrund seines nicht vorhandenen Modegeschmacks latente Angst ein. Auch die Angst, selbst falsch zu spezifischen Anlässen gekleidet zu sein, erscheint mir angesichts der aktuellen Weltlage als: dämlich. Wenn die Welt schon untergeht, dann möchte ich bitte ein Ballkleid und Turnschuhe tragen. Schließlich sitze ich vielleicht wieder in der ersten Reihe.
Don‘t mess with Mutter Courage
Und sonst? Seit ich die 50 überschritten habe, bin ich oft schlicht zu müde zum Wegrennen, nur weil mal jemand den Larry macht. Außerdem habe ich in meinem Alter schon eine ganze Menge Angsteinflößendes gesehen – einiges davon im Spiegel. Kurzum: Ich stelle mich meinen Ängsten deutlich schneller als früher und vergesse sie dann wieder. Man kann sich ja nicht alles merken. Letztens habe ich gelesen, dass das Älterwerden generell nichts für Feiglinge sein soll. Was ich dazu sage? Klingt nach Action-Abenteuer. Bin dabei.
Bleib frisch und fröhlich.
Deine Nina