Gestern ist noch mal mein ganzes Leben an mir vorbeigezogen. Nein, huch, nicht wie Du jetzt denkst, sondern durchaus im positiven Sinne: Ich habe in einem Vergnügungspark bei schönstem Herbstwetter in einem Kettenkarussell gesessen, und mir sind die Tränen gekommen. Vor Glück.
Glück, dass ich ganz schön viel Wechsel in den Wechseljahren bereits geschafft habe
Denn als die Welt um mich herum sich ganz real drehte, über mir die Sonne und unter mir allerhand vergnügte Leute, da habe ich auf einmal ganz deutlich gefühlt, dass vieles an ätzenden Wechseljahre-Meilensteinen heute hinter mir liegt. Und dass ich mir schon längst mal bei einer Zuckerwatte hätte auf die Schulter klopfen sollen.
Warum machen wir das alle eigentlich nicht? Wäre es nicht wunderbar, wenn wir die gemeisterten Symptome und Hürden der Wechseljahre in so einer Art Bonusheft abhaken könnten wie die Attraktionen in einem Vergnügungspark?
Wechseljahre, oder: die erste Achterbahn, bei der du nie weißt, wann Du ein- oder aussteigst
Ich habe die Zeit zwischen 45 und 51 so empfunden: das Zaudern mit 45, ob der Karriereweg, in den ich mich selbst getrieben hatte, überhaupt der richtige war. Sind das jetzt die Wechseljahre oder nur der Job? Die tiefe Frustration festzustellen, dass mir das alles überhaupt keinen Spaß mehr macht. Das Hochgefühl, etwas Neues zu starten, einfach etwas zu wagen. Die andauernde Erschöpfung, weil es Hormonen nun mal scheißegal ist, ob ich noch unbedingt die Präsentation fertigbekommen muss oder nicht. Der Ärger zu merken, dass Männer ab 45 klar im Vorteil sind, weil sie die Zeit, in der die Kinder erwachsen werden, nutzen können, um persönlich noch mal richtig durchzustarten. Letztens habe ich gelesen, dass ein Viertel von uns einfach aus dem Job aussteigt, sobald wir in die Wechseljahre kommen … das ist doch Wahnsinn, oder? So klamm und heimlich!
Brainfog, Hitze, Selbständigkeit. Was war jetzt noch mal das Symptom?
Dann waren da noch: Die Konzentrationsschwierigkeiten und der Brainfog, die ich am Anfang nie als Wechseljahressymptome erkannt, sondern als persönliche Schwäche abgetan habe. Vergesslich? Dann musst Du Dich einfach mehr anstrengen, Nina! Nur, um die Erfahrung zu machen, dass ich die Wechseljahre nicht durch Disziplin besiegen kann, sondern dann höchstens noch als Bonus ein echtes Stressproblem kriege.
Die Erkenntnis mit 50, dass ich gar nicht kämpfen muss, um glücklich und nicht weniger erfolgreich zu sein. Die neue Suche nach mir selbst, die noch andauert und zwischenzeitlich überraschende Erkenntnisse bringt. Die Selbständigkeit, die sogar Corona überstanden hat. Die Projekte, die ich jetzt in meiner eigenen Schnelligkeit (oder auch mal Langsamkeit) angehen kann. Das gute Gefühl, als zaghafte Auszeiten, bessere Ernährung und Stressreduktion erste Früchte trugen.
Freiheit als Bonus ab 50
Die Freiheit, dass meine Periode nie mehr wiederkommt und ich ab jetzt in weißen Hosen in die Disco gehen könnte – wenn ich noch Lust hätte so lange aufzubleiben. Die leichten Hitzewallungen, die kommen und gehen, aber eigentlich nie so stark sind, dass sie jemandem auffallen (am allerwenigsten mir selbst). Die Konzentration, die wieder da ist und sich manchmal sogar schärfer anfühlt als mit 20, weil jetzt Erfahrung und eine gewissen Gelassenheit dazukommen. Das Gefühl der Hilflosigkeit, als mein Körper sich ohne meine Erlaubnis verändert und anfängt Dellen und Falten an den unmöglichsten Stellen zu bilden. Von ganz alleine. Ohne Sport.
Ich werde älter. Erfreulicherweise
Das gute Gefühl nackt vor dem Spiegel zu stehen und die Veränderungen anzunehmen, weil die Alternative zum Altwerden immer noch bedeutet, nicht alt zu werden – ich arbeite daran. Die Angst, dass ich einen Job nicht bekomme, weil ich zu alt bin. Und die innere Erleichterung, als die deutlich jüngere Frau in der Agentur meiner Angst mit völligem Unverständnis begegnet und sagt, dass sowas heute ja nun wirklich nicht mehr relevant sei.
Der schwierigste Teil der Reise ist geschafft. Bei mir waren‘s die Vierziger
Diese ganzen Erlebnisse und Erkenntnisse und Veränderungen und Meilensteine auf meinem Weg als Frau – die lagen auf einmal alle hinter mir. Und ich saß in meinem Sitzchen im Kettenkarussell, spürte die leichte Drehung meines Körpers und den Wind in meinen grauen Haaren und dachte:
Scheiß drauf, wie Du genau hier hingekommen bist. Fakt ist: Hier wolltest Du immer hin.
Und wenn Du manchmal auch das Gefühl hast, Dich im Kreis zu drehen, dann gebe ich Dir hiermit den ultimativen, völlig ungefragten Bonus-Ratschlag: Genieße den Wandel, auch wenn es eine Reise ist. Denn Du hast es bis hierhin geschafft. Zeit, einfach mal die Arme in die Luft zu strecken und aus vollem Herzen zu lachen.
Deine Nina
1 Gedanke zu „Wechseljahre. Alles dreht sich – und dann?“
Hallo Nina,
so klug geschrieben und so richtig!
LG Brigitte